Von der Kunst des Einfachen

In Italien, so sagte man früher, kann man eigentlich nicht schlecht, sondern allenfalls zu teuer essen. Das hat zweifelsohne gestimmt, wenn auch nie lückenlos für die obere Adria – da ist der unselige Einlfuss des Germanentums schon zu weit vorgedrungen. Im Hinterland aber und in versteckten kleinen Osterie und Tattorie, da war es immer noch so.

Mit Ausnahme von Venedig. Heute noch lebende Menschen können sich nicht erinnern, dass es etwa irgendwann einmal in tiefer Vergangenheit nicht riskant gewesen wäre, einfach eins der Lokale an den Trampelpfaden und rund um die Sehenswürdigkeiten zu betreten.

Wolfgang Böck und Günther Schatzdorfer haben es in Besser. Einfach. Eine kulinarisch-kulturelle Reise durch die Lagunen nach Venedig treffend beschrieben:

Der eilige Gast, dem noch drei Kirchen und zwei Museen zum Tagespensum fehlen, kehrt gerne hier ein. Hier geht es schnell; die Pasta war schon gekocht, als der Gast noch beim Frühstück saß, der Fisch harrt bereits stundenlang auf der Grillplatte auf seinen Verzehr. Der Caffé ist kalt, weil er schon bei der Bestellung der Vorspeise durch die Maschine getröpfelt ist. Auch die Rechnung ist schon fertig, bevor man bestellt hat.

Doch, ja, das ist bestimmt so – wenn nicht ärger. Und frisch ist sowieso nichts mehr. Gäbe es nicht eingesessene alte Lokale mit Wirtsleuten, die der Hektik wie der Gewinnsucht dieses Zeitalters und seines speziellen gastronomischen Abfütterungsbetriebs trotzten. Sture Genossen aus einer vergangenen Zeit.

Eine dieser übriggebliebenen Institutionen, die ehrwürdige Trattoria Antica Mola am Fondamenta Ormesini im etwas abseits gelegenen Viertel Canareggio, ist noch immer jeden Besuch wert, und beweist stupende Hartnäckigkeit in Kurs und Qualität, obwohl das Lokal schon in hunderten von Reiseführern in dutzenden Sprachen geführt wird.

Die drei älteren Herrschaften, die den Laden zusammen mit einer Crew aus Bangladeshis und Chinesen führen, haben sich der einfachen Klassik der venezianischen Küche verschrieben – und bleiben ihr treu.

Das bedeutet in erster Linie: Meeresfrüchte. Auch wenn das heute wie ein Hohn klingt ob der gehobenen Preise für alles, was unter Wasser schwimmt oder kreucht – das war mal ein Essen für arme Leute in einer Stadt mitten in der Lagune. Solches Getier war alltäglich. Fleisch und Gemüse wegen der knappen Anbauflächen und der Transportwege von der terra ferma herüber schon nur mehr was für die Betuchteren…

Solches aber läßt man sich gern gefallen: Neben den Caparozzoli in einem feinen Sud aus Olivenöl, Knoblauch, Petersilie und Weiswein – so würde ich schätzen – kredenz man dort auch ein hervorragendes, simples Risotto ai gambaretti, eine hübsche Zusammenstellung von Antipasti Veneziana di mare, reduzierter Schnickschnack bei erstklassiger Qualität und geschmacklicher Klarheit, aber auch Spaghetti con Caparozzoli, auch als Zuppa con Caparozzoli nicht ohne Finesse, darüber hinaus Capesante, Granseola, aber auch die unwiderstehlichen Sarde in Saor: was zunächst gewöhnungsbedürftig klingt, Sardinchen mit Zwiebeln und Rosinen, aber absolut köstlich und eine der unwiderstehlichen Kleinigkeiten ist, die es traditionellerweise hier noch gibt.

Aber auch beim ubiquitären gegrillten Fisch hat man keineswegs die Frische, nicht der Ware und nicht der Zubereitung, vermissen lassen. Und erst die Haus- und Hof-Spezialität aller Venezianer und der Norditaliener im weiteren, die Frittura Mista di mare, kriegt man hier staubtrocken, also ohne Fett und Öl, hell aber knusprig und heiss serviert. Was will man mehr.

Meine Begleiterin liess es sich nicht nehmen, alle drei Mal die Grigliata di Verdure zu nehmen: wegweisend einfaches gegrilltes Gemüse! Selbst gerne vernachlässigte Köstlichkeiten – sie verstecken sich hinter dem Sammelbegriff der contorni – wie die gedämpften, butterzarten Artischocken und erst der gegrillte Radicchio Trevisiano – mit ein paar Hobeln Parmigiano serviert – waren jede für sich ein eigenes Gedicht!

Die Panettone war hausgemacht und flaumig, die Zabaione eine – auch in Sachen Kalorien – wahre Wucht, sogar die weltläufige Panna Cotta edel – hier speisten wir gleich drei Mal zu mehreren Gängen, das sagt wohl alles…

Von anderem Kaliber, weil seit Jahren im Slow Food Guide gelistet, ist da die Trattoria La Bitta,

die, für Venedig doch etwas ungewöhnlich, den Wahlspruch „no fish“ führt. Nichts desto trotz kredenzt man hier ein täglich wechselndes, ambitioniertes Menü rund ums eher Fleischliche – und natürlich vom allerfeinsten Gemüse von Sant’Erasmo, der Gemüseinsel der Venezianer. Auch hier der Radicchio Trevisiano, diesmal mit winzigen Gnocchi di patate in Rotwein geschmurgelt. Aber auch die in Balsamico gekochte Salsiccia mit lockerer Polenta – was soll man da mehr sagen!

Zum Dritten die Osteria il Milion in einem kleinen Hinterhof nahe dem Trampelpfad zwischen Rialto und Strada Nuova: etwas gehobener und gestelzter, natürlich auch teurer, aber jeden Euro wert! Dabei geradezu liebenswert altmodisch und traditionsbewusst.

Das Highlight war zweifellos die Zuppa di carciofi – ein feines Artischockensüppchen mit etwas Parmigiano gratiniert! Ich habe mir sogleich als Forschungsprojekt für die nächste Zeit vorgenommen, das auch hinzukriegen. Fein aber nicht weiter bemerkenswert die Pasta e Fagioli, desgleichen die Filets vom Branzino in Balsamico. ABER die Fegato di vitello alla Veneziana, die – für Liebhaber – angesagte Kalbsleber mit Zwiebeln und Weisswein, war dem Vernehmen nach allerfeinst.

Hier gab’s gar von allen Dolci die mit Abstand beste Panna Cotta. Erwähnenswert auch ein herrlicher, kräftig süsser Moscato aus dem Trentino – Apperitivempfehlung gegen jeden Trend!

Nun, man kann durchaus sagen, dass es sich auch in der Touristenhölle Venedig noch fürstlich leben läßt, ohne damit gleich päpstlich abkassiert zu werden. Alle drei Lokale sind sowohl qualitativ als auch in preislicher Hinsicht zu empfehlen. Allerdings sollten Leute, die in einer typisch venezianischen Speisekarte nur stochern und dann Pasta al ragu bestellen, die sie nicht mal nennen können, sondern Bolognese dazu sagen, was aber hier nicht ist und nicht sein kann, lieber gleich in der Gegend rund um den Markusplatz bleiben. Da füttert man ihresgleichen profund und mit gerechtfertigtem Strafzuschlag ab.

Neben den Bacari rund um den Markt am Rialto gibt es in der Calle Meloni vor dem Campo San Polo eine Pizzaschnittenbude, die im Gegensatz zu allen anderen auch kulinarische Aufmerksamkeit verdient: die Pizza mit Radicchio und Salsiccia ist gelinde gesagt eine delikate Offenbarung!

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2 Gedanken zu “Von der Kunst des Einfachen”