Der genussfaktor eröffnet hiermit eine neue, lose Reihe zu kulinarisch interessanten Filmen.
Jamon Jamon
Wie lange habe ich darauf gewartet, diesen Film wieder zu fassen zu kriegen? Eineinhalb Jahre war der Suchagent bei medimops aktiv, dann hat er endlich angeschlagen. Und zuerst eine herbe Enttäuschung: die technische Qualität ist für heutige Verhältnisse ein Graus. Doch das liegt wohl daran, dass der Film niemals prominent genug war, um ihn technisch ins High Resolution Zeitalter zu hieven. Man lebt also einen Spielfilm lang mit dem längst vergangen geglaubten Grieseln, das dabei auf einem properen Bildschirm des einundzwanzigsten Jahrhunderts noch viel grauslicher wirkt.
Aber warum dieser Film? Erstmals gesehen vor mehr als fünfundzwanzig Jahren als VHS-Mitschnitt vom Fernsehen. Vielleicht erinnert sich der/die eine oder andere noch daran: es gab mal auf ORF eine Schiene von sehenswerten Filmen, mitten in der Nacht natürlich, denn die besseren Sendezeiten waren von jeher dem belanglosen Schrott vorbehalten. Der Unterschied: heute gibt’s diese Art von cineastischem Vergnügungen nicht mal mehr um 3 Uhr früh. Sic transit gloria mundi, täte der alte Lateiner in mir sagen wollen. Aber auch der ist schon altersschwach.
Jamon Jamon von Bigas Luna: Film No. 2 in der Filmografie von Penelope Cruz. Da war sie wohl 18 Jahre jung. Als Mädchen Silvia ist sie schrecklich verliebt in ihren Jose Luis – Jordi Mollá. Und natürlich auf einmal schwanger, wie könnte es anders sein. Ihre Mutter, genial gespielt von Anna Galiena, steht als Animierdame (oder wohl ärgeres) sozial nicht grade auf einer Stufe mit den hochnäsigen Eltern des Burschen, die eine Fabrik für Unterwäsche betreiben – wo Silvia als Näherin arbeitet. Entsprechend bahnt sich der Eklat an: seine Mutter engagiert den Schinken-Ausfahrer Raúl – Javier Bardem -, zugleich auch Möchtegern-Stierkämpfer und Unterhosen-Modell für die neueste Herrenkollektion, die auserkorene Braut des Filius abspenstig zu machen. Was natürlich gelingt, denn Raúl ist wesentlich temperamentvoller als die Lusche Jose Luis. Und er lässt rein gar nichts anbrennen: er nimmt nebenher auch die Mutter, die sich ihm an den Hals wirft, aber erst, nachdem sie ihm eine Yamaha 600 dafür versprochen hat. Und am Ende gelingt der Coup, Silvia verliebt sich in Raúl, das Bübchen ist darob jedoch so verzweifelt, dass seine Mutter umschwenkt, um sie ihm als Braut zu erhalten… Schließlich kommt es zum sehenswerten Showdown in der Halle, wo die Schinken trocknen – ausgefochten mit Schinkenbeinen.
Der Film strotzt vor Klischees: Latin Lover, gelangweilte Mittelstandsehefrau, das Liebespaar im sozialen Gegensatz, das Mädchen schön und naiv, spanische Männlichkeit im Stierkampf… Doch der Sex ist verzwickt und will nicht so recht klappen. In ihrer gnadenlosen Überzeichnung reihen sich die Stereotypen aber wundervoll aneinander und ergeben ein Panorama einer Gesellschaft am Rande der Landstraße irgendwo im Nirvana der spanischen Provinz. Regisseur Bigas Luna erspart uns aber den süßlichen Blick und das Happy End, sondern komponiert eine an Geschwindigkeit zunehmende Corrida der Symbole. Und er unterläuft die gängigen Selbstbilder einer traditionell geprägten Gesellschaft.
Kulinarisch an dem Film sind die Kleinigkeiten am Rande: Silvia bäckt nach der Arbeit als Näherin noch Tortillas, um die Familie mit etlichen Geschwistern durchbringen zu helfen. Jose Luis liebt die Tortillas fast mehr als seine Silvia, jedenfalls solange sie ihn nicht ihre Brüste kosten lässt, aber auch die schmecken ihm nach Tortillas mit Zwiebeln… Sein forscher Konkurrent Raúl schmeckt am selben Objekt dafür eher Schinken. Ja natürlich, der Schinken! Er spielt eine gewichtige Rolle in dem Drama, er trennt die Welten der Schwachen, die keinen haben, und der Starken, denen er überreichlich zu Gebote steht. Man möchte das nur allzu gern als einen Kommentar auf unsere vegan-verseuchten Zeiten lesen…
Der Film erzählt denn auch einen kulturellen Subtext: was hier gezeigt wird, darf man heute nicht mehr zeigen. Das betrifft zum einen die reichlichen Sexszenen, garniert mit skurrilen Einfällen – der Papageien-Tanz von Silvias Mutter Carmen, die Rolle der Knoblauch-Zehe zwischen Raúl und der anderen Mutter – aber auch die ausgeprägte Distanz zu den sozial Schwachen, denen der Film wenig Sympathien entgegen bringt. Warum Silvias Mutter alleinerziehend ist, warum die Tochter nicht aufpasst, warum sie am Fest der Wohlhabenden nicht teilnehmen – nichts davon ist anklagend, alles scheint wohlgefügter Teil einer Welt, in der die Menschen noch selbst verantwortlich sind für die Miseren, in denen sie stecken.
Man kann sich deutlich mehr langweilen mit einem alten Film.